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Der fugu-Leitfaden zum Thema Gendern im Internet

Rich­tig gen­dern

24. Mai 2021 – Content

aktualisiert 15.09.2022

Beim Thema Gendern gehen die Meinungen auseinander. Für die einen sind Genderzeichen ein Muss. Andere halten die Diskussion für überzogen und argumentieren, dass das Geschriebene dadurch unleserlich würde. Wer hat recht? Sollen Sie den Genderstern verwenden, oder doch lieber einen Schrägstrich oder den Doppelpunkt? Und wie verträgt sich eine gendergerechte Sprache mit dem Aspekt der Barrierefreiheit? Unser Ratgeber schafft Klarheit.

Was ist Gendern überhaupt?

Beim Thema Gender geht es um mehr als das biologische Geschlecht. Das englische Wort bezieht sich vielmehr auf das gefühlte Geschlecht, also das sogenannte soziale Geschlecht oder die Geschlechtsidentität. Das kann weiblich, männlich, eine Mischung oder nichts von alledem sein. Eine gendergerechte Sprache berücksichtigt diese Vielfalt. Sie vermeidet Stereotype und Rollenklischees und zieht alle gefühlten Geschlechter gleichermassen mit ein. Da diese Diskussion in unserer Gesellschaft relativ neu ist, hat sich noch keine sprachliche Ausdrucksform durchgesetzt. Ob wir das Thema nun für wichtig und richtig oder masslos übertrieben halten – Tatsache ist, dass sich Veränderungen in einer Gesellschaft früher oder später in der Sprache wiederspiegeln. Die Frage ist also nicht, ob wir gendern, sondern wie wir gendern.

Varianten des Genderns

Klischeehafte Formulierung wie „Die Sekretärin ist dem Geschäftsführer unterstellt“ gehören der Vergangenheit an.

  • Die Sekretärin ist dem Geschäftsführer unterstellt.

Schon lange gängig sind die Beidnennung des männlichen und des weiblichen Geschlechts und das Binnen-I. Beide Varianten berücksichtigen jedoch nur das weibliche und das männliche Geschlecht. Die übrigen Identitäten werden möglicherweise mitgemeint, aber nicht ausdrücklich erwähnt.

  • Die Sekretärin oder der Sekretär sind der Geschäftsführerin oder dem Geschäftsführer unterstellt.

Eine gendergerechte Formulierung zieht alle gefühlten Geschlechter mit ein und drückt dies durch ein Sonderzeichen als Platzhalter zwischen der weiblichen und der männlichen Form aus. Der Vorteil: Alle sind mitgemeint. Der Nachteil: Die Sätze wirken dadurch schnell unübersichtlich und schwer erfassbar. 

  • Die*der Sekretär*in ist der*dem Geschäftsführer*in unterstellt.

Eine genderneutrale Schreibweise umgeht die Nennung des Geschlechts, indem anstelle einer Personenbezeichnung ein Substantiv verwendet wird. Der Vorteil: Keine Flut aus Sonderzeichen. Der Nachteil: Durch die Substantivierung wird die Sprache schwerfällig.

  • Das Sekretariat ist der Geschäftsleitung unterstellt.

Welche Genderzeichen gibt es?

Da sich bisher noch kein Zeichen eindeutig durchsetzen konnte, sind eine Vielzahl von Schreibweisen als Ausdruck für die Gender-Vielfalt im Umlauf. Mit diesen Sonder- und Satzzeichen wird derzeit gegendert: 

  • Schrägstrich: Leser/innen
  • Bindestrich: Leser-innen
  • Genderstern: Leser*innen
  • Gender-Unterstrich: Leser_innen
  • Gender-Doppelpunkt: Leser:innen
  • Gender-Ausrufezeichen: Leser!innen
  • Gender-Fragezeichen: Leser?nnen
  • Trema: Leserïnnen
  • Circumflex: Leserînnen
  • Gender-1: Leser1nnen
  • Gender-Leerzeichen: Leser innen

Gendern versus Barrierefreiheit

Für Sehende sind die Genderzeichen möglicherweise gewöhnungsbedürftig. Sobald sie sich an die neue Schreibweise gewöhnt haben, stellen diese jedoch kein Verständnisproblem mehr dar. Anders ist das für blinde oder sehbehinderte Menschen, die auf Vorleseprogramme angewiesen sind.

In der Standardeinstellung liest eine Vorlesesoftware Punkte, Kommata und andere häufige Zeichen nicht vor. Zeichen innerhalb von Worten werden standardmässig vorgelesen, da das Programm davon ausgeht, dass sie aus irgend einem Grund relevant sind. In der Praxis klingt ein gegendertes Wort dann so:

  • Pilot:innen: Pilot Doppelpunkt innen
  • Pilot*innen: Pilot Stern innen
  • Pilot/innen: Pilot Schrägstrich innen
  • Pilot!innen: Pilot Ausrufezeichen innen
  • PilotInnen: Pilotinnen
  • Pilot_innen: Pilot Unterstrich innen
  • Pilot1innen: Pilot Eins innen 
  • Pilot?nnen: Pilot Fragezeichen nnen
  • Pilotïnnen: Pilotinnen
  • Pilotînnen: Pilotinnen
  • Pilot innen: Pilot innen

Bei manchen Vorleseprogrammen lässt sich einstellen, ob und welche Zeichen vorgelesen werden sollen. Wenn eine blinde Person weiss, dass in einem Text mit der Gender-1 gegendert wird, kann sie definieren, dass diese nicht vorgelesen werden soll. Die Software liest dann „Pilot innen“ statt „Pilot Eins innen“.

Das Problem: Dieses Zeichen wird auch an allen übrigen Stellen nicht vorgelesen. Die Unterdrückung der Gender-1 im obigen Beispiel führt dazu, dass die Zahl Eins nirgends mehr vorgelesen wird. Der Inhalt wird dadurch unter Umständen komplett unverständlich oder sogar falsch. Aus „Abflug auf Gate 1“ wird „Abflug auf Gate“. Dieselbe Problematik stellt sich bei allen anderen gängigen Zeichen.

Umgehen liessen sich diese Knacknüsse mit dem Trema oder dem Circumflex, die im deutschen Sprachraum keine andere Verwendung haben. Diese Zeichen sind auf den deutschen Tastaturen jedoch teils nur schwierig aufzufinden und deshalb nicht alltagstauglich.

Fazit: Sämtliche Sonder- und Satzzeichen führen mit Vorlesesoftware zu Problemen. Sie werden entweder nicht vorgelesen, was aus Sicht des Genderns folglich nichts bringt, oder sie werden vorgelesen, was den Lesefluss teils empfindlich stört. 

Sind gendergerechte Texte unleserlich?

Gendern macht nicht kompliziert. Kompliziert schreiben macht kompliziert.

Manche verzichten bewusst auf die Nennung sowohl der weiblichen als auch der männlichen Form. Sie verwenden nur die männliche Personenbezeichnung und stellen dem jeweiligen Inhalt voraus, dass beide Geschlechter mitgemeint sind. Dadurch soll der Text nicht unnötig verlängert und verkompliziert werden. Tests haben jedoch ergeben, dass nicht die Beidnennung einen Text schwer verständlich macht, sondern das Sprachniveau. Wer verstanden werden will, verzichtet also besser auf Bandwurmsätze statt auf die Beidnennung.

Anders verhält es sich mit den Genderzeichen. Für Menschen mit niedriger Lesekompetenz stellen diese eine zusätzliche Hürde dar. Manche Zeichen sind in der deutschen Sprache nicht bekannt, wie das Trema oder das Circumflex. Auch die Bedeutung eines Fragezeichens oder eines Doppelpunktes mitten in einem Wort ist nicht für alle auf Anhieb klar. Im Vergleich zur Beidnennung ist diese Variante deshalb zwar kürzer, aber schwieriger verständlich.

Gendern in der Praxis: So wählen Sie die passende Variante

Möglichkeiten des Genderns gibt es viele, wirklich überzeugende Lösung noch keine. Mit den folgenden Richtlinien liegen Sie jedoch in den allermeisten Fällen richtig:

  • Sensibilität gegenüber dem Thema ist mit Sicherheit angebracht,unabhängig davon, wie stark Sie selber sich damit identifizieren. Kontrollieren Sie grundsätzlich jedes Schriftstück auf Stereotype wie „der Geschäftsführer“, „die Putzfrau“ und dergleichen. Verwenden Sie stattdessen neutrale Begriffe wie „die Geschäftsleitung“, „die Putzkräfte“, oder nennen Sie beide Geschlechter.
  • Soll Ihr Text vor allem einfach verständlich sein, dann wählen Sie die Beidnennung kombiniert mit neutralen Bezeichnungen und verzichten auf Genderzeichen. So lassen Sie zwar die gefühlten Geschlechter aussen vor, doch Ihre Inhalte werden dadurch leichter erfassbar. Das gilt immer dann, wenn Sie für eine Zielgruppe schreiben, die über niedrige Lesekompetenz oder Sprachkenntnisse verfügt und die nicht ausgesprochen gendersensibel ist.
  • Verwenden Sie ebenfalls die Beidnennung, wenn Sie für Menschen schreiben, die auf Vorleseprogramme angewiesen sind, da diese Schreibweise beim Vorlesen nicht mit gängigen Satz- und Sonderzeichen kollidiert.
  • Wenn Sie für eine gendersensible Zielgruppe schreiben oder einfach für sich Wert auf eine genderkonforme Ausdrucksweise legen, verwenden Sie den Doppelpunkt oder den Genderstern. Unter den derzeit zur Auswahl stehenden Zeichen führt diese zu den wenigsten Konflikten bei Vorleseprogrammen für blinde oder sehbehinderte Menschen. Der Stern ist vermutlich (noch) etwas geläufiger, hat jedoch den Nachteil, dass er in vielen Formularen verwendet wird, um obligatorische Felder zu kennzeichnen. Das Ausschalten führt dazu, dass Pflichtfelder nicht mehr als solche erkennbar sind. Ausserdem verbreitert er den Abstand innerhalb des Worts. Für Menschen, welche die Bildschirmansicht stark vergrössern, kann das zu Unklarheiten führen, da der Abstand das Wort getrennt erscheinen lässt. Dieses Problem gibt es mit dem Doppelpunkt nicht. Dafür ist dieser noch nicht ganz so etabliert wie der Stern.

Unser Tipp zum Schluss

Lösen Sie komplizierte Gender-Formulierungen, indem Sie aktiv schreiben. Aus «Die*der Geschädigte kann sich an eine*n Anwält*in wenden» wird «Wenden Sie sich an eine Anwaltskanzlei». Mit einer aktiven Formulierung verbessern Sie Ihren Schreibstil auch abgesehen vom Gender-Thema mit wenig Aufwand um ein Vielfaches.